Max Frisch, Citoyen

Max Frisch, Citoyen
CH 2008 89'

Regie: Matthias von Gunten
Drehbuch: Matthias von Gunten
Kamera: Matthias Kälin, Matthias von Gunten
Ton: Hans Künzi, Martin Witz
Schnitt: Caterina Mona
Musik: Martin Todsharow
Produktion: HesseGreutert Film

Matthias von Gunten 2008 89'


Max Frisch war der letzte grosse Schweizer Intellektuelle, der auch über das eigene Land hinaus als «Stimme» breit wahrgenommen und geschätzt wurde: eine Figur, wie es sie heute kaum mehr gibt. Vor dem Hintergrund des vergehenden 20. Jahrhunderts spürt der Film Frischs Geschichte als Zeitzeuge nach und fragt, ob wir solche «Stimmen» überhaupt brauchen – oder heute auch ohne sie auskommen.¨

"Im Biografischen fragmentarisch, macht der Film auch des Staatsbürgers Frisch grösste Tugend erkennbar: die unablässige Befragung der eigenen Person."
Christoph Egger, NZZ

"Frischs Fragen [sind] so bohrend und insistierend, dass ein unüberhörbarer Anspruch auf moralische Autorität aus ihnen spricht. Entscheidend zu dieser Wirkung trägt bei, dass Frischs Interventionen vorwiegend in Tagebüchern, kleinen Schriften und Reden erfolgten, also mit durchgestalteten Texten. Man muss sich nur einige der berühmten Sätze daraus vergegenwärtigen, um zu spüren, welche Kraft von ihrer Schlichtheit, Durchdachtheit und Musikalität ausgeht: «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen.» Oder: «Was muss ich tun, um eine Heimat zu haben, und was vor allem muss ich unterlassen?»
Kein Wunder, wird von Guntens wortreicher Film vom Wort nicht belastet, sondern beflügelt: Sein Grundgerüst aus Frisch-Texten, die Reto Hänny sehr schweizerisch, sehr nüchtern, sehr passend liest, hat eine bestechende Klarheit und einen rhythmischen Zauber.
Andreas Furler, Tages Anzeiger

Mutiger Intellektueller im Dunstkreis der Weltpolitik

Florian Keller, Tages Anzeiger

Zurück in die Zukunft: An den 43. Solothurner Filmtagen lässt Matthias von Gunten in einem Dokumentarfilm den kritischen Geist von Max Frisch aufleben.

Achtung, die Schweiz! Mehr als ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit Max Frisch seinen so betitelten Entwurf für eine neue Schweiz veröffentlichte – eine Schweiz, die nicht weiter wie ein gepützelter Kurort still verdämmern würde, die weder Altersasyl noch Passbehörde oder Heimatmuseum wäre.Wenn sich jetzt Peter Bichsel an jene städtebauliche Vision erinnert, schwingt Wehmut mit, aber auch eine leise Erleichterung darüber, dass Frischs forsche Utopie nicht Realität wurde: «Wir wären damals bereit gewesen, die Stadt Solothurn abzureissen und Le Corbusier einen anständigen Auftrag zu erteilen.» Atmen wir auf, wenn wir das hören, oder sehnen wir uns zurück in die Zukunft von gestern?Filmischer Entwicklungsroman

Peter Bichsel, der Solothurner, sagt diesen Satz als Zeitzeuge in dem Dokumentarfilm MAX FRISCH, CITOYEN, der hier am Mittwoch im Beisein von Bichsel seine Premiere feierte. Regisseur Matthias von Gunten schildert darin Frischs Weg vom brotlosen Studenten zum engagierten Schriftsteller, der sich unermüdlich ins Zeitgeschehen einmischte und der sein Leiden an der Schweiz zeitlebens zu einem bestimmenden Thema seines Schreibens machte.

So ist MAX FRISCH, CITOYEN keine germanistische Fleissarbeit über den Romancier und Dramatiker, sondern eine Art filmischer Entwicklungsroman über den kritischen Intellektuellen Frisch – und damit indirekt auch ein Film über die intellektuelle Krise der Linken heute. Und vielleicht erschliesst dieses Porträt den politischen Frisch nochmals neu für eine Generation, die ihn vor allem aus der Schule als vielleicht lästige Pflichtlektüre kennt.

Da ist also der junge Schweizer Bürger, der die Scheinheiligkeit verurteilt, die sich als «Staatsräson» maskiert; da ist der brave Kanonier, der sich ungern an seinen Armeedienst erinnert, weil er im eigenen Gehorsam nur Feigheit erkennt.Da ist der zweifelnde Humanist, dessen präzise Beobachtungen zur Angst vor dem Fremden sich wie Slogans im kollektiven Gedächtnis einprägen («Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen»). Da ist, später dann, der kritische Geist im Dunstkreis der Weltpolitik, der Helmut Schmidt auf dessen Staatsbesuch in China begleitet und mit Kissinger über den Einmarsch in Kambodscha streitet. Und am Ende des Films steht Frischs tiefe Enttäuschung über die unfähigen Spiesser von der Bundespolizei, die nicht einmal eine seriöse Fiche über ihn, den vorgeblichen Staatsfeind, zu Stande bringen. Frisch, so kommentiert Bichsel hier mit diebischem Schalk, habe als Profi eben erwartet, dass er es auch bei der Bupo mit Profis zu tun habe.

Von Guntens Film ist reich an Archivmaterial: Die urbane Schweiz gestern und heute, private Filme aus Frischs Nachlass, und immer wieder punktieren zeitgeschichtliche Aufnahmen diesen Parcours durchs 20. Jahrhundert. Schmidt und Kissinger kommen zu Wort, ebenso Günter Grass, Gottfried Honegger und Christa Wolf, doch die Hauptrolle spielen Frischs Tagebücher und zeitkritische Schriften, im Film gesprochen von Reto Hänny.

So hört man Frischs Stimme zwar fast nie, und doch hat er fast immer das Wort. Aus rund zwei Dutzend Texten collagiert von Gunten das Mosaik von Frischs engagierter Zeitgenossenschaft. Sein Film ist wortlastig – aber er zeigt auch, dass das dem Bildmedium Kino nicht unbedingt abträglich ist.

Das liegt sicher an Frischs Prosa, die sich für einen Hörfilm bestens eignet; es ist aber auch das Verdienst des Regisseurs, dass seine Bilder nicht das gesprochene Wort unter sich begraben. Von Gunten findet fast durchwegs die perfekte Balance zwischen atmosphärischem Gespür und historischer Sorgfalt. Nur den elegischen Soundtrack würde man sich gelegentlich weniger sentimental wünschen.

Ein Hauch von Trauer

Sein Film sei nicht als wehmütige Verklärung gedacht, sagt der Regisseur, aber so ganz entkommt er der Nostalgiefalle doch nicht. Das liegt auch an dieser Musik, die einen Hauch von Trauer erzeugt, der sich durch den ganzen Film zieht. Es ist die leise Trauer darüber, dass es einen kritischen Intellektuellen, wie Max Frisch diese Rolle ausfüllte, heute nicht mehr gibt in der Schweiz.Wo sind sie heute, die kritischen Intellektuellen, die sich einmischen? Das ist die unausgesprochene Frage, die diesen Film umtreibt, aber auf die Einwürfe einer jüngeren Generation von Schweizer Intellektuellen wartet man vergebens. Regisseur von Gunten hat bewusst nur die Stimmen von Zeitgenossen eingeholt, die persönlich mit Frisch in Kontakt standen. (Das erklärt auch, weshalb im Film zwar Helmut Schmidt klug über Frisch parliert, aber kein einziger Alt-Bundesrat. Natürlich habe er Kurt Furgler angefragt, sagt von Gunten – aber der habe sich partout nicht äussern wollen, mit der Begründung, er habe «viel Wichtigeres» zu tun.)

Bichsel, auch noch live

Wo sind sie heute, die mutigen Intellektuellen? So fragte nach der Premiere auch eine Zuschauerin, doch die Antwort lieferte nicht der Regisseur, sondern ein Stimme von weiter hinten im Saal. Dort sass Peter Bichsel und machte seinem Ärger über die «dumme» Frage Luft: «Nicht die Autoren fehlen, die sich einmischen! Sondern das Publikum, das sich dafür interessieren würde! Jetzt sitzen die Leute einfach auf ihrem faulen Arsch und fragen: Wo ist der linke Blocher? Das ist ein derartiger Blödsinn.» Die engagierten Intellektuellen wären noch da, bloss ist ihr Publikum verdämmert? Da macht es sich wohl auch Bichsel zu einfach. Jedenfalls wird darüber noch zu reden sein – spätestens dann, wenn der Film im März in die Kinos kommt.

Tages Anzeiger

Besichtigung eines Monuments

Martin Walder, NZZ am Sonntag''

War Max Frisch die letzte moralisch-intellektuelle Instanz im Lande? Ein Porträt des Autors gab an den Solothurner Filmtagen zu reden.

Wie tot ist Max Frisch? Sehr tot, sagen jene Lehrer, die ihn nur knurrend im Unterrichtsprogramm führen. Sehr fern, ist vielleicht von jenen zu hören, die sich im planetarischen Gelächter des Antipoden Dürrenmatt darin bestätigt fühlen, die Welt steuere auf die schlimmstmögliche Wendung zu. Andere aber vermissen einen Max Frisch dringend als politisch geerdete Stimme in einer Zeit, in der Parteipropagandisten als Intellektuelle gelten.

Der Filmer Matthias von Gunten (REISEN INS LANDESINNERE) wollte es wissen und hat sich filmisch in einer Art biografischer Lektüre in Frischs Werk vertieft. Auf der Suche nicht nach dem Literaten oder dem Privatmann, sondern nach dem kritischen Staatsbürger, unter Beizug von Persönlichkeiten, die ihm nahestanden. Deren Galerie ist illuster: Helmut Schmidt, Peter Bichsel, Gottfried Honegger, Christa Wolf, Henry Kissinger, Günter Grass. MAX FRISCH, CITOYEN heisst der Film. Entsprechend ergraute Häupter, ebenso aber junge Besucher haben sich an den Solothurner Filmtagen ins Kino gedrängt. Das Thema ist virulent.

Max Frisch war eine Instanz. Als solche überprüfbar – und zu überprüfen. Filme als gespeicherte Zeitzeugenschaft eignen sich hervorragend dazu. Deutlich wird dabei erst einmal eines: Instanz ist eine Rolle, die man sich allein geduldig fragend erwirbt, ohne sie vielleicht zu Beginn gesucht zu haben. Heute werde man wohl anders zur Berühmtheit, mutmasste in Solothurn Peter Bichsel, dem im Film die intimsten und luzidesten Momente des Erinnerns gehören, nach der Uraufführung. Nachhaltigkeit steht für die heutige öffentliche Wahrnehmung nicht zuoberst auf der Prioritätenliste.

Worin war der politische Autor Frisch Instanz – und ist es geblieben? Als ein Literat, der wusste, dass das eigene Leben sich nur im Ich vollzieht, den aber umtrieb, dass für ihn nicht die Zeit war für Ich-Geschichten. Hört man im dicht montierten Film die bekannten und unbekannten Frisch-Sätze, die die Stimme des Autors Reto Hänny klar und nüchtern in Erinnerung rufen, nistet es sich gleich wieder im Ohr ein: Da setzt einer auf der Suche nach seinem Urteil stets noch ein überraschendes Fragezeichen mehr. Und bringt die Sache mit literarischer, rhetorischer Prägnanz auf den Punkt. Frisch habe so beim Formulieren gar nicht schludrig sein können, bezeugt der Freund Gottfried Honegger.

Das Fragen hat den am 5. Mai 1911 geborenen Frisch der Zweite Weltkrieg gelehrt – als Schweizer, der sich im deutschen Kulturkreis angesichts des KZ Buchenwald bei Weimar fundamental herausgefordert sieht: «Wenn Menschen, die gleiche Worte sprechen wie ich und gleiche Musik lieben wie ich, keineswegs gesichert sind, Unmenschen zu werden, woher beziehe ich fortan meine Zuversicht, dass ich davor gesichert sei?» Solcherart sind Frischs Fragen an sich und an die Öffentlichkeit im verschonten neutralen Land. Im Film spiegeln sie sich eindringlich wider in den Gesichtern heutiger, in sich versunkener, verstummter Besucher auf dem KZ-Gelände.

So spielt der Film Frischs Art der Zuspitzung in unsere Zeit herüber und demonstriert ohne Pathos, dass sich auch griffige Formeln nicht verbraucht haben: etwa jene berühmte vom Ruf nach Arbeitskräften, dem aber Menschen nachkamen, als die Schweiz sich wieder einmal überfremdet fühlte und Fremde zum Wohlergehen brauchte.

Politiker haben Max Frisch sozusagen als moralischen Sparringpartner geschätzt: Kissinger im Weissen Haus zur Zeit des Vietnamkriegs, Schmidt just in jener Nacht, als die deutsche Demokratie ihre Zerreissprobe erlebte und das von Terroristen besetzte Flugzeug «Landshut» in Mogadiscio gestürmt wurde. In diesen Interviewpassagen ist die Spannung zwischen dem Politiker und dem Intellektuellen in Bezug auf Verantwortung und Schuld mit Händen greifbar.

Wenn Frisch von der Schweiz spricht, ist immer die Schweiz in der Welt gemeint. «Das Thema Schweiz ist im Grunde eine Erfindung – oder eine Entdeckung von Max Frisch», sagt Peter Bichsel im Film kühn, und zumindest eine oder mehrere Generationen von später Geborenen würden ihm wohl kaum gross widersprechen. Was aber tut nun ein solcher Film, um jener nostalgischen Sentimentalität oder gar Idolatrie zu entgehen, die Frisch selber sich wohl schroff, wie er sein konnte, verbeten hätte?

Die Frage stellt sich umso mehr, als Matthias von Gunten im Verlauf der Vorbereitungsphase entgegen seiner ursprünglichen Absicht auf kritische Stimmen zum Thema «Citoyen Frisch» verzichtet hat – Altbundesrat Furgler etwa, mit dem sich Frisch ein denkwürdiges TV-Duell geliefert hatte: «Die angefragten Leute haben sich dafür nicht hergeben mögen.» Auch wird das zeitgeschichtliche und private Archivmaterial zu Frisch (inklusive eigener Amateurfilm-Sequenzen) in Zeitlupe präsentiert und damit unweigerlich mit Bedeutsamkeit aufgeladen – nicht ganz unheikel.

Aber: Es sind Max Frischs Argumente selber, ihre auch sprachliche Schärfe, die den Kopf des Kinopublikums in diesem konzentrierten Film zu sehr beschäftigt halten, als dass man sich in Verklärung ergehen könnte.



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